Blog | Body Harvest statt GTA VI (2025)

Wo bleibt »GTA VI«? Fans der beliebten Spielereihe warten sehnsüchtig auf eine Antwort der Entwickler von Rockstar Games. Mich persönlich interessiert eine weitere standardisierte Gangster-Open-World allerdings wenig. Ich stelle mir eine andere Frage: Wann kommt ein neues »Body Harvest«?

Menschenretter statt Massenmörder

Als Erstes sei gesagt, dass es sich bei »Body Harvest« nicht um einen frühen, dreidimensionalen GTA-Klon handelt – obwohl an beiden Projekten dieselben Entwickler beteiligt waren, mit ihrem damaligen Studionamen DMA Design. Sie haben sich im Jahr 2002 in Rockstar North unbenannt. Doch es gibt natürlich gewisse Gemeinsamkeiten. In beiden Titeln reise ich mit verschiedenen Fahrzeugen durch eine riesige 3D-Open-World. Doch während ich in GTA-Spielen jeweils nur eine große Karte erkunde, gibt es in »Body Harvest« fünf verschiedene Welten, die noch dazu in fünfverschiedenen Epochen angesiedelt sind. Ich besuche Griechenland im Jahr 1916, Java im Jahr 1941, Amerika im Jahr 1966, Sibirien im Jahr 1991 und einen Alien-Kometen im Jahr 2016.

Damit gehört »Body Harvest« nicht nur zu den frühesten Open-World-Spielen, sondern auch zu den wenigen Science-Fiction-Zeitreisespielen, in denen außerirdische Rieseninsekten die Menschheit auslöschen wollen. Und ja, richtig gehört: Bevor DMA Design uns ins Gangster-Milieuvon »GTA III« abtauchen ließen, mussten wir in ihrem Vorgängerprojekt »Body Harvest« Menschen vor gefräßigen Aliens retten, statt sie im Blutrausch umzunieten. Das Spielkonzept ist außergewöhnlich und gab es in identischer Form nie wieder zu sehen (mir fällt zumindest kein derartiges Spiel ein). Stattdessen folgten in den 2000er Jahren und darüber hinaus unzählige GTA-Kopien, die in der Regel einen Antihelden als Spielfigur etablierten, um auf diese Weise ein freies Spielerlebnis zu rechtfertigen. Im Genre sind getötete Zivilisten bestenfalls Kollateralschäden – nur die Polizei versucht, meine Mordserie zu stoppen.

Alien-Invasion: Als zeitreisender Supersoldat gilt es, die Menschheit zu schützen.

In »Body Harvest« hingegen nimmt kein Ordnungshüter die Verfolgung auf, sollte ich einen Zivilisten überfahren. Allerdings endet das Spiel bei zu vielen menschlichen Verlusten in einem apokalyptischen Weltuntergang. Denn dann haben sich die Aliens von den sterblichen Überresten reichlich ernährt und an übernatürlicher Stärke gewonnen. Darum muss ich gleich zwei Lebensleisten im Auge behalten: Die meiner Spielfigur, aber auch die der menschlichen Todesopfer. Darüber hinaus spawnen in den Siedlungen immer wieder sogenannte Fresserwellen. Sie reißen Häuser ein und fressen nach und nach jeden darin residierenden Bewohner. Dies gilt es natürlich zu verhindern. Es ist ein spannender Wettlauf gegen die Zeit, der mit den rasanten Polizei-Verfolgungsjagden aus den GTA-Spielen mithalten kann.

Die Fresserwellen müssen schnell beseitigt werden, bevor sie die Anwohner verspeisen.

Riesengegner, riesige Fahrzeugauswahl

Die Aliens werden mit jeder Zeitepoche zahlreicher, größer und stärker. Im Jahr 1916 in Griechenland beschießen mich noch kleine Käfer, wohingegen ich in den USA der 60erJahre gegen Riesenskorpione antreten muss. Viel verträgt meine Spielfigur nicht – trotz seines futuristischen Schutzanzuges. Darum ist es besser, in einem Vehikel unterwegs zu sein.

1916: Der harmlose Alien-Geschützturm…

…mutiert 1941 zu einer mächtigen Kanone.

Fahrzeuge können zusätzliche Treffer einstecken und verfügen je nach Typ über bestimmte Waffen. Die Auswahl ist enorm: ein stabiler Lastwagen, ein schnelles Motorrad, ein schlagkräftiger Panzer oder zerstörerische Artillerie. Und hierbei handelt es sich nur um die fahrbaren Untersätze, die auf Land fortbewegt werden. Später kommen noch Torpedoboote, Luftkissenboote, Jagdhubschrauber, Kampfflugzeuge und sogar fliegende Untertassen hinzu. So ziemlich alles, was man in der GTA-Serie jemals fahren durfte, kommt in diesem einzigen Spiel zum Einsatz.

Aber nicht nur die Vielfalt an Fahrzeugen ist beachtlich, sondern auch deren Steuerung. Die Fahrphysik mag zwar beim Einlenken etwas stümperhaft aussehen, da die Fahrzeuge unnatürlich stark zur Seite kippen. Doch ich kann jedes Vehikel wunderbar kontrollieren – egal ob zu Land, zu Wasser oder in der Luft. Das ist für ein frühes 3D-Open-World-Spiel alles andere als selbstverständlich. Schließlich beschränkte sich dasselbe Studio noch drei Jahre später in »GTA III« auf Land- und Wasserfahrzeuge und implementierte lediglich mit dem berüchtigten Dodo ein schwer zu steuerndes Flugzeug. »Body Harvest« gehört zu den Nintendo-64-Spielen, die ihrer Zeit deutlich voraus waren.

Vielfältige Mobilität: Mit dem Schnellboot erreicht man einen wendigen Jagdflieger.

In den ersten GTA-Spielen für die PS2 musste man sich zusätzlich mit einer desorientierten Kamera und ungenauer Zielmechanik herumquälen. »Body Harvest« steuert sich dagegen schon fast wie ein modernes Spiel. Ich kann mit dem Analogstick die Aliens präzise anvisieren – das nachjustierende Auto-Aim funktioniert dabei exzellent. Und auch die Kamera leistet eine hervorragende Arbeit. Sie folgt geschmeidig jeder Körperdrehung meiner Spielfigur und verliert nur selten den Anschluss.

Präzision: Das Zielen mit dem Analogstick ist sauber umgesetzt worden. Ebenso wie die übersichtliche Kamera.

Interessante Spielwelt mit eingeschränkter Technik

Es werden allerdings nicht nur Aliens niedergeschossen, sondern auch verschiedene Aufgaben bewältigt. Die Missionen sind abwechslungsreich und stellen immer einen thematischen Bezug zum Level her – inklusive kultureller Referenzen. Man spürt auch hier das gewohnt kreative Feingefühl der GTA-Macher. Ich grabe in den Katakomben Griechenlands prähistorische Funde aus, überquere einen heißen Vulkan in Java und dringe im amerikanischen Outback in Area 51 ein. Im Gegensatz zur GTA-Serie kann ich die Missionen jedoch nicht frei auswählen. Schließlich handelt es sich hierbei um eine Alien-Invasion. Der Gegner bestimmt die Geschehnisse, auf die ich als Spieler reagieren muss. Ein schleimiges Monstrum sabotiert plötzlich einen Generator? Es liegt an mir, die Energiezufuhr wiederherzustellen.

Der King lebt: In Amerika 1966 trifft man auf eine Elvis-Imitation.

Ich fokussiere mich vollkommen auf die Hauptaufgaben, denn bis auf die zu sammelnden Alien-Artefakte und Waffenkristalle lenken mich keine unnötigen Nebenaktivitäten in der Welt ab. Auch sonst ist der Spielablauf von »Body Harvest« recht linearer aufgebaut. Zwar mag die Open-World recht groß sein, doch wird sie durch eine von den Aliens errichtete Barriere abgegrenzt. Steile Bergketten und tiefe Schluchten schränken ebenfalls meine Reisefreiheit ein. Diese können nur mit einem passenden Vehikel überquert werden, das ich erst einmal finden muss.

Kreativ abgekürzt: Viele Level-Hindernisse können nur mit einem bestimmten Fahrzeug überwunden werden.

Oft führen mehrere Routen zum Ziel. Ich muss die Welt dennoch genau erkunden, um weiter voranzuschreiten. Die Weltreise erinnert damit eher an ein »Elden Ring« als ein klassisches »GTA«. Zumal am Ende eines Areals ein Boss besiegt werden muss, damit die Barriere sich öffnet, die zum nächsten Levelabschnitt führt. Leider sehen die Levels mehr als dürftig aus: Karge Landschaften, klobige Häusermodelle und verwaschene NPCs, die dem Erscheinungsbild einer angezündeten Playmobil-Figur am nächsten kommen. Mit ihren gefühlt drei unsauberen Animationen bilden sie den Tiefpunkt eines unansehnlichen Spiels. Dadurch fehlt die Illusion einer glaubhaften Bevölkerung.

Lediglich die Aliens hinterlassen einen optisch ansprechenden Eindruck. Ihr Trefferfeedback fühlt sich ebenfalls korrekt an. Für ein ungutes Gefühl sorgen allerdings einige Bugs im Spiel. Und damit meine ich nicht jene Bugs, die mit Waffengewalt weggepustet werden können. Es treten Kollisionsfehler auf, in denen mein Fahrzeug in Häuserwänden stecken bleibt. Dann hilft nur aussteigen – im schlimmsten Fall zermalmen mich die Gegner. Besonders schlimm ist aber der Alien-Komet. Dort setzt manchmal der Sound aus und einige Türme lassen sich in manchen Fällen nicht zerstören, obwohl sie getroffen werden.

Klötzchenmatsch: Die grafisch niedrige Messlatte wird von den NPCs unterboten.

Zeit für eine Neuauflage

Allzu streng will ich mit dem Spiel allerdings nicht sein. Schließlich handelt es sich hierbei um eine frühe 3D-Open-World, auf einer der ersten 3D-Konsolen. Und im Rahmen der damaligen Möglichkeiten ist sie optimal umgesetzt worden. Ihre Besonderheiten sind auch aus heutiger Sicht ein spielerischer Genuss. Sofern man das Spiel heute noch spielen kann. Denn bis auf die ursprüngliche N64-Version ist »Body Harvest« auf keiner Plattform erschienen. Selbst der irreguläre Weg über eine Emulation verläuft steinig, da technische Probleme auf allen mir bekannten Emulatoren auftreten. Eventuell wäre eine Portierung auch gar nicht möglich. Darum würde ich ein Remake vorschlagen, bei dem auch gleich die grafischen Defizite des Spiels überarbeitet werden könnten.

Zwar bin ich persönlich kein Fan von überarbeiteten Klassikern. Die Remasters von N64-Spielen wie »Perfect Dark« und »Turok 2« haben deutlich von ihrem ursprünglichen Grafikstil eingebüßt. Dabei sind diese Spiele auf der originalen Hardware immer noch recht ansehnlich. Dass ausgerechnet »Body Harvest« im angesagten Remake-Wahn keine überarbeite Neuauflage erhält, ist für mich mehr als unverständlich. Denn kaum ein anderes Spiel litt deutlicher unter den Limitierungen des Nintendo 64. Aktuell gibt es aber zumindest ein Fan-Projekt, das hoffentlich ein fertiges Remake hervorbringt. Insgesamt sieht mir das Vorhaben allerdings zu überambitioniert aus. Ich kann mir nur wenige AAA-Entwicklerstudios vorstellen, die ein solches Open-World-Setting umsetzen könnten. Eins davon ist natürlich Rockstar North.

Doch die GTA-Macher haben nach dem Sensationserfolg von »GTA III« kein weiteres Open-World-Franchise mehr hervorgebracht – bis auf ein GTA mit Pferden. Lediglich »Bully« als Mini-Open-World-Spiel wäre hier noch zu nennen, das allerdings auch nie fortgesetzt wurde. Und so ziemlich jeder Spieler scheint auch nur diese Art von Open-World von Rockstar zu verlangen. Dabei hat die GTA-Serie längst ihren Höhepunkt erreicht. Von »Body Harvest« gab es lediglich eine geplante Fortsetzung, die niemals erschien. Dabei steckt in dem Spielkonzept so viel Potenzial. Eine Alien-Invasion mit Zeitreiseplot in einer Open-World war damals „nur“ eine revolutionäre Idee. Mit der heutigen Hardware-Power wäre es ein sensationelles, völlig neues Spielerlebnis. Besonders, da ich noch keinen erstaunlichen Next-Gen-Titel erleben durfte.

Hier könnte ihr Next-Gen-Titel entstehen: Eine Stadt, die von Aliens zerstört wird, hätte wuchtiges Potential.

Eine weitere Hetzjagd mit Polizisten in »GTA VI« wird mich wohl kaum in Erstaunen versetzen. Doch wie beeindruckend wäre ein Spiel, in dem ich als Space-Marine durch eine Stadt fahre, die von Aliens überrannt wird. Menschen fliehen panisch aus Hochhäusern. Diese werden Stück für Stück zermalmt, bis sie in sich zusammenbrechen und einen kolossalen Trümmerhaufen zurücklassen. Auf den überschütteten Straßen packen gefräßige Rieseninsekten die hilflosen Passanten. Mit gezielten Schüssen trenne ich den Insekten ihre Gliedmaßen ab, bevor sie einen Menschen verschlingen können. Das mag alles nur Wunschdenken sein. Doch vielleicht geht mein Wunsch irgendwann in Erfüllung und es erscheint ein ehrwürdiger Reboot von »Body Harvest«. [dg]

Body Harvest
DMA Design / Gremlin Interactive
Erstveröffentlichung: 30. Mai 2023
Nintendo 64
Director & Designer: John Whyte

Quelle Bilder: Titelbild: Presskit.com & MobyGames.com. Screenshots: Eigene.

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